"Wenn Max Henry mit dem Titel zu seiner ersten Ausstellung 1820 die beiden Zahlenpaare der Jahreszahl des Jahres 2018, in dem diese Ausstellung stattfindet, austauscht, will er ganz im Sinne der Avantgardisten seiner künstlerischen Gegenwart eine zukünftige Richtung geben, indem er sie mit den Geistern eines vergangenen, eben des neunzehnten Jahrhunderts verbindet. Natürlich kann diese doppelte Richtung in der Zeit, die aus dem permutativen Spiel mit der aktuellen Jahreszahl zu resultieren scheint, auch als Versuch gesehen werden, die Zeit aufzuheben, um den Moment zu ermöglichen, in dem mächtige Geister aus beliebigen Zeiten beschworen werden können. Auf jeden Fall enthebt dieses Spiel der Frage, ob Malerei denn zeitgemäß sei, da das Malen zu Henrys Konzept gehört, nach dem es wie der oder die Malende als Medium dienen soll, zwischen Zeiten und Welten sowie zwischen Darstellung und Dichtung zu vermitteln.
Eine der Schlüsselfiguren, die Max Henry mit einem modernistischen Hang zur Serie zur Leinwand bringt, ist William Blake, der zu seiner Zeit sowohl als Dichter wie als Künstler aus seiner Zeit zu fallen schien. Dass dies Blakes Fernwirkung keinen Abbruch getan hat, ist bekannt: aus seinem Satz If the doors of perception were cleansed everything would appear to man as it is, infinite gewann nicht nur Aldous Huxley den Titel für sein 1954 erschienenes Buch The Doors of Perception, in dem er die Wirkung des Psychedelikums Mescalin beschreibt, sondern auch Jim Morrison den Namen für seine Band The Doors. Bei Max Henry erscheint nun das Brustbild, das er in seinen verschiedenen Fassungen auf Blake bezieht, wie transparent und ständig für ein Morphen bis hin zu Landkarten von imaginären Inseln bereit. In einer frühen kleinen Studie in Acryl (wir bewegen uns in einem Zeitraum von ungefähr zwei Jahren) hat der Blake zugeschriebene Schädel noch einen in Rosa gehaltenen Schatten, um die Doppelbödigkeit der symbolischen, zwischen Zeichnung und Malerei oszillierenden Darstellung zu unterstreichen. Henrys konstruierender wie dekonstruierender Strich sucht in seiner Unsicherheit die Sicherheit, offen zu bleiben, um allgemeinere, beziehungsweise abstrakte Deutungen zulassen zu können. Ähnliches gilt für seine Farbgebungen, die im segmentierenden Bildaufbau als Elemente dienen, die nicht nur von einer stilbildenden Farbpalette zeugen (was wäre das Denken in Farben anderes), sondern deren Zusammenspiel so kalkuliert zu sein scheint, dass, lässt man die Konturen der Figuren bildenden Zeichnung außer acht, das so entstehende reine Farbbild als abstraktes seine Eigenständigkeit behält. Auch diese zwei Ebenen stehen also ständig auf dem Spiel und verleihen den Kompositionen eine zusätzliche Dimension.
Wenn ein Dichter, Kurator und Kunstkritiker nach Jahrzehnte langem, gemessen an den Werten, die gehandelt werden, notorisch unterbezahltem Schaffen für das Feld der Kunst, das er diesseits wie jenseits des Atlantiks kennt und in dem er bekannt ist, sich entschließt, seine Konzepte auch in der Malerei selbst spielen zu lassen, kann erwartet werden, dass jedes Bild voll von Anspielungen und Querverweisen ist und sein Wissen um Zusammenhänge widerspiegelt. Natürlich kann es damit in seinen Bezügen zur Kunst- und Literaturgeschichte als einzelnes Werk gelesen werden und ist als solches nicht auf den institutionellen Rahmen angewiesen, wie er von Duchamps Urinoir und Flaschentrockner bloßgestellt worden ist. In einem existentielleren Sinn ist dieses aber natürlich doch angewiesen, wie die Mitspielenden auf das System, das sie entlohnt oder an dem sie verzweifeln. Der Versuch des Dichter-Kurators, ein imaginäres Museum zu installieren, in dem die selbst gemalten Bilder die Geister, die sie darstellen, beschwören sollen, bekommt somit eine soziologische Komponente, die ihn in eine Reihe mit den Installationen Marcel Broodthaers stellt. Die Bezüge, die die Kunstgeschichte poetisieren, werden so zur Kritik am geistlosen, am Geschäft orientierten Kunstbetrieb, der die Deutbarkeit und Zusammenschau seiner Hervorbringungen vernachlässigt und diesen Versuch, reduziert auf die Notwendigkeit, die existentielle Situation zu verbessern, als Phänomen erzwungen hat. Das Phänomen selbst gewinnt so als Aktion kunsthistorische Bedeutung."
Benedikt Ledebur